Jacqueline und Kevin, geile Wäsche und gutes Bier, ein Mord, kein Sex - Leseprobe
Am Schöpfwerk steigt Jacqueline aus. Es wird bereits dunkel, als sie wie immer mit dem Schloss der Eingangstür zu ihrem Wohnblock kämpft.
Warum irgendjemand diese Tür noch absperrt, ist ihr ein Rätsel. Der größte Teil besteht aus Pappkarton, mit dem die eingeschlagenen Scheiben abgedeckt wurden.
Vermutlich will der Hausmeister die Mieter ärgern, die mit dem kaputten Schloss nicht zurechtkommen. Als sie endlich im Hausflur steht, hört sie laute Stimmen
aus dem Wäschekeller. Zwei kreischende Frauen. Der Tonlage nach ist eine davon die Niebauer aus dem zweiten Stock. Jacqueline schleppt sich die Treppe hinauf.
„Perverser!“ und „Unterhosen“ schrillt es durch das Treppenhaus bis zu ihr. Ihre Füße machen auf dem Absatz kehrt und schleichen langsam in den Keller.
Widerwillig kommt der Rest von Jacqueline auch mit, obwohl sie eigentlich nichts weniger will, als sich da einzumischen.
Die Niebauer und die Neue aus dem sechsten Stock stehen im Wäschekeller und schreien auf einen Mann ein, der zwischen ihnen am Boden liegt.
Seine Hände und Füße sind mit Strumpfhosen zusammengebunden, das rechte Auge beginnt sich zu verfärben.
„Du geiler Perversling wirst unsere Unterhosen nie wieder fladern!“, schreit die Niebauer.
„Reg di net so auf, du Schastrommel. I hab ja eh nix getan damit, nur ang’schaut.“
„Boah, jetzt wird der frech a noch. Sissi, ruf die Polizei an, es reicht.“
Sissi, die Neue aus dem sechsten Stock, holt ihr Handy heraus. „Ma geh, des is jetzt aber blöd. Der Akku is leer.“
„Und i hab meins oben liegen lassen. So was Blödes aber auch. Was solln ma jetzt ... Ah, die Swoboda. Hast du dein Handy mit?“
Jacqueline schüttelt stumm den Kopf.
„Ihr Weiber seid’s sogar zum Scheißen zu deppert. Lasst’s mi jetzt endlich gehen.“
Der Mann am Boden will sich aufrichten. Ein Fußtritt von der Niebauer und er sackt wieder zusammen.
„Wir machen des jetzt so“, übernimmt die Niebauer das Kommando, „Sissi, du gehst telefonieren, irgendwo wird schon a Handy sein, sonst gibt’s noch die
Telefonzelle draußen. Und du, Swoboda, passt auf den Typen auf, bis die Polizei kommt. Des wirst ja wohl noch z’sammenbringen. I muss nämlich jetzt dringend weg.
Mei Mann kommt gleich heim, und wenn des Essen dann no net fertig ist, spielt’s Granada.“
Der letzte Satz ist ihr offenbar herausgerutscht, aber sie fängt sich sofort wieder.
„So mach ma des jetzt. Und du“, ein letzter gezielter Tritt in seine Nieren, „du gehst sitzen, du perverses Schwein. I hab ka Lust mehr, mir jede Woche a neue
Unterhose zu kaufen.“
Und rauscht hinaus.
„Na gut, dann geh i jetzt auch. Du brauchst nur warten, bis die Polizei kommt. Der tut eh nix mehr.“
Sissi lächelt kurz und dreht sich Richtung Tür.
„Aber, aber ... wie ... warum ... was ...?“
Sissi seufzt und verdreht die Augen.
„Ja, des is doch der Haberer, der ständig unsere Unterhosen von der Wäscheleine fladert. Seit Monaten. Und heut haben wir’n endlich dabei derklatscht.
Also, wart einfach auf die Kieberer und dann erzählst, was passiert ist. Wenn die uns noch brauchen, weißt eh, wo du uns findest. Tschüssli.“
Jacquelines letztes „Aber“ wird von der zufallenden Tür übertönt und dann ist sie ganz allein mit dem Perversen.
Der eigentlich gar nicht so aussieht. Der sogar ganz nett aussieht, wenn man sich das zuschwellende Auge und die fettigen Haare wegdenkt.
Anfang 30, in ihrem Alter, und eine hübsche Figur, soweit man das unter dem schmutzigen T-Shirt und den viel zu weiten Jeans sagen kann.
„Du bist a Liebe, des seh ich sofort. Und i bin sicher net pervers, des kannst mir glauben. Nur einsam. Und da helfen mir halt die Hoserln. Is des a Verbrechen?“
Jacqueline sieht ihn mit großen Augen an. So hat schon lange kein Mann mehr mit ihr gesprochen. Eigentlich noch nie. So normal. So nett.
„Lass mi gehn, bitte. I bin nur einsam, sag ich dir. So eine wie du kann des sicher net verstehen, aber ...“
Jacqueline errötet. Dann muss sie lachen.
Eine wie sie kann Einsamkeit nicht verstehen!
Mehr davon in:
Malz und Totschlag. Kleine Morde unter BierfreundenHrsg. v. Günther Thömmes
Gmeiner Verlag, September 2011
ISBN 978-3839211878
330 Seiten
Euro 11,90